„Wär‘ ich ihr Vater, Flammen sollten sie / Verzehren“, sagt Prinz Kalaf über Prinzessin Turandot, und kurz darauf: „Himmlische Anmut! Warme glühende Lippen! / Augen der Liebesgöttin!“ Innerhalb weniger Verse schlägt seine Abscheu in absolute Leidenschaft um, denn Kalaf hat ein Bild von Turandot gesehen. Turandot – die Schöne, die Unantastbare, Tigerin, Furie, Fleisch. Zuschreibungen für Turandot, „die Stolze“, gibt es viele, Bilder, die aus der Ferne auf sie projiziert werden. Und bloße Bilder und Blicke der Prinzen auf Turandot sind es gleichzeitig, die heftigste Gefühle bei ihnen auslösen. Auch Kalaf würde aus Sehnsucht nach ihr sein Leben opfern – „Tod oder Turandot! Es gibt kein Drittes“. Turandot aber verachtet alle Männer. Die Köpfe derer, die um sie warben und bei ihren Rätselproben versagten, sind auf der Stadtmauer Pekings aufgespießt. Düsternis herrscht im Land, Köpfe rollen schon seit langer Zeit. Bis Kalaf vor Turandot tritt, das erste Rätsel löst, dann das zweite, bald schon das dritte – Turandot erkennt, dass ihr zum ersten Mal jemand verstörend nahe kommt…
Das tragikomische Märchen Turandot von Friedrich Schiller ist nur eine Version im reichen literarischen Stoff-Gewebe um Turandot. Wer ist Turandot? – auch Schillers Stück kann, wenn überhaupt, nur eine Antwort auf diese Frage liefern. Jeder Versuch, die Figur Turandot zu fassen, scheint sich im Nichts aufzulösen. Zum ersten Mal tauchte die Geschichte im 12. Jahrhundert im Orient auf, fand ihren Weg in die europäische Märchenliteratur, schließlich auch auf die Opernbühne. Carlo Gozzi arbeitete sich teils derb komödiantisch an Turandot ab, Friedrich Schiller schuf eine idealistische Frauenfigur, zuletzt lieferte Bertolt Brecht eine politische Lesart, und Giacomo Puccini starb über seiner Oper, die Fragment blieb. „Turandot existiert nicht“, lässt er das Hofpersonal singen. „Turandot quält mich“, schrieb Puccini selber, als er die Oper komponierte. Femme fatale, Freiheitsverfechterin, gebrochene Liebende – Folie schiebt sich über Folie. Aber wer ist Turandot?
Im Projekt Turandot.Kommentar werfen verschiedene Fachrichtungen der HMT einen heutigen Blick auf Turandot und ihren Stoff-Kosmos. Es wurde sich durch Materialberge gewühlt, Thesen über Turandot wurden formuliert, Thesen über Turandot verworfen und der Blick ist an manchen Wörtern, Sätzen und Tönen hängengeblieben. Texte und Noten sind daraus entstanden. Neu-Kompositionen von Studierenden der Abteilungen Komposition/Tonsatz und Jazz/Popularmusik werden in einer umfassenden Auseinandersetzung mit den Turandot-Texten und Puccinis Oper zu einem neuen Musik-Theater verbunden. Schauspiel, Musik und Gesang kreisen an diesem Abend um die Geschichten und Perspektiven auf Turandot. „Ich hoffe, bald zum Ende dieser vermaledeiten Prinzessin zu gelangen“, auch das schrieb Puccini – welchen Gang nimmt es fast hundert Jahre später mit Turandot?
Christian Stolz
TURANDOT.KOMMENTAR
Ein interdisziplinäres Musik-Theater-Projekt der Fachrichtungen Dramaturgie, Gesang/ Musiktheater, Komposition/ Tonsatz, Jazz/ Popularmusik, Dirigieren/ Korrepetition und Schauspiel der Hochschule für Musik und Theater Leipzig nach Gozzi, Puccini, Schiller u.a.
Premiere 7.4.2017, 19.30 — Weitere Vorstellungen 8.4.2017, 19.30 Uhr / 9.4.2017, 15 Uhr / 10.4.2017, 19.30 Uhr
Dittrichring 21, Black Box
Einführung jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn // Publikumsgespräch am 9.und 10.4.2017 im Anschluss an die Vorstellung
>>Besetzung
Musikalische Leitung Gaudens Bieri
Regie/Dramaturgie Maximilian Eisenacher, Maximilian Enderle
Raum/Kostüme Patricia Ulbricht, Lucian Patermann
Kompositionen Fojan Gharibnejad, Jan Friedrich Ramb, Kilian Verburg/Bertram Burkert, Volker Heuken, Jonas Timm
Team Dramaturgie Lisa Ahrens, Stefanie Hauser, Christian Stolz, Josephine Tietze, Nina Wiener
Grafik/Installation Katharina Nesterowa
Projektassistenz Carlotta Rogge
Projektleitung Prof. Dr. Regine Elzenheimer (Fachrichtung Dramaturgie)
Leitung Jazz-Ensemble Prof. Michael Wollny
Mentorin Schauspiel Prof. Dr. Anja Klöck
Begleitung Tonsatz Klasse Prof. Maren Wilhelm (Konrad Angerhöfer, Fojan Gharibnejad, Lukas Grunert, Svea Guemy, Junyu Guo, Helge Rieckhoff)
Mit Severin Böhm (Tenor), Lars Conrad (Bariton), Young-June Lee (Tenor), Annika Steinbach (Sopran); Amelie Kriss-Heinrich, Paul Sies, Edda Maria Wiersch (Schauspieler/innen); Martin Ackermann (Klarinette), Fabio Costa (Klavier), Richard Glaser-Beisken (Violoncello), Hedwig Ohse (Violine); Bertram Burkert (Gitarre), Volker Heuken (Vibraphon), Andris Meinig (Kontrabass), Philippos Thönes (Drums), Jonas Timm (Piano)